Erzählungen und Romane - Ver-dichtungen

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Erzählungen und Romane

Wolf Döhner

Unter anderem bis jetzt bei  Neobooks als E-Books erschienene Erzählungen

Scheherazade-Mon Amour,
Die Tragfähigkeit des Scheins,
Ramona - Wie wirklich ist die Wirklichkeit
und das Jugendbuch
Der schwarze und der weiße König

Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von unveröffentlichten Texten, Erzählungen, Gedichtbänden oder Kindergeschichten

Als neustes Projekt wartet  das  Manuskript meines Romans "Am Ende der Anfang" auf Veröffentlichung.
 
Kurz-Expose´
 
Zwei Pensionäre, die beiden einzigen Überlebenden einer Jugendbande von ursprünglich fünf  Freunden, vier Jungen, ein Mädchen, treffen sich und kramen in Erinnerungen. Erst kürzlich ist einer ihrer Freunde gestorben und sie erhalten seine Tagebücher.
In Erinnerung verfolgen sie die gemeinsamen, ereignisreichen  Erlebnisse der letzten Tage des Kriegs und der  nicht minder spannenden nach dessen Ende  bis zum Abitur.  
Später treffen sich vier von ihnen wieder in Berlin. Sie haben zwar unterschiedliche, auch politische Interessen aber die Freundschaft hält – bis zu einem Ereignis. Kurz nach dem Mauerbau sterben zwei Mitglieder der Clique bei einem tragischen Unfall. Die Zusammenhänge und die Hintergründe, die bis in ihre Jugendzeit reichen, kommen erst jetzt durch die Recherchen der Überlebenden heraus.  







Neu ist auch eine Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel "Fallobst" hier eine Leseprobe aus der Titelgeschichte.

  
Das also war die letzte Zigarette. Die Schachtel war leer, wirklich leer. Mit voller Wucht traf ihn plötzlich diese Erkenntnis. Aber vielleicht war es auch eher das Zusammentreffen zweier Zustände seiner selbst, dem äußeren und dem inneren, das ihm so unvermittelt auffiel.
Innerlich fühlte er diese große Leere, in die er nur zu springen brauchte, um sie zu füllen, mit dem, was er war, um mit ihr zu verschmelzen in einer Ewigkeit, die ihn befreien würde von all dem, was er trotz der großen Leer auf sich lasten fühlte.
Und äußerlich schien die leere Schachtel nur Bestätigung für das zu sein, was ihn hierher geführt hatte. Es war sozusagen die Quintessenz seines Lebens. Er war am Ende. Die Schachtel war leer, so wie sein Leben, dessen Sinn er nicht mehr erkennen konnte. Und während er die letzte Zigarette anzündete, ihr Glimmen beobachtete und den  Rauch hastig, wie ein Ertrinkender in sich einsog, fühlte er sogar so etwas wie Erleichterung. Es war eigentlich so leicht. Er  musste nur  zwei, drei Schritte von der ungesicherten Kante des Plateaus, auf dem er stand machen, einfach weitergehen, auch  wenn er keinen Boden mehr unter den Füßen spürte und dann dem Sog der Schwerkraft folgend nach unten stürzen.
Ein Falke stieß mit hohem Schrei von der nahen Burg ins Tal hinab, wie damals. Aber damals, was war das? Und vor allem, wann war das?

Er hatte gerade sein Abitur hinter sich.  Aber was sollte er damit anfangen?
Mit anderen Worten. Er wusste nicht, was das Ereignis seines Abschlusses  bedeutet, schlichtweg, weil er keine wirkliche Vorstellung davon hatte, wie sein Leben nun weitergehen sollte ohne die gewohnten Strukturen von Schule und den sonstigen alltäglichen Verpflichtungen des Lebens.  
Während seine Mutter, musikalisch und künstlerisch begabt, darauf bestand, dass ihr einziges Kind eine gehobene Bildung erhalten sollte, hatte sein Vater mit kaum verhohlenem Missvergnügen seine schulische Laufbahn verfolgt. Er war Schreiner und das mit ganzer Seele. Mit großem Fleiß hatte er den Meister gemacht  und später eine kleine Firma gegründet, die der Familie ein gutes  Einkommen sicherte. Und natürlich hatte er gehofft, dass sein Sohn in seine Fußstapfen steigen würde. Doch der hatte keine Freude und wohl auch nicht die Begabung, sich mit Holzklötzen zu beschäftigen und daraus irgendetwas „Nützliches“ zu machen. Er war eher der Feingeist und Romantiker, stets bereit sich auf ein intellektuelles Abenteuer einzulassen. Aber Handwerk, nein Danke.  
„Was du mit deinen eigen Händen erarbeitet hast, ist immer ein Original und durch nichts zu ersetzen“, sagte sein Vater einmal, als er  ihn fragte, ob seine Arbeit noch zeitgemäß sei, weil doch das Meiste bereits industriell gefertigt werde.   
„ Ja, das stimmt,“ meinte er. „Aber auch wenn du das nicht oder noch nicht verstehen kannst. Den industriellen Produkten fehlt die Seele.“
„So ein Unsinn. Dinge sind Dinge und daher sozusagen per Definition seelenlos.“
„Na gut, es kommt darauf an, was du mit Seele meinst.“
Zugegeben, er kam etwas ins Schwimmen. Was ist Seele wirklich? Ist sie eine Chiffre für etwas, das wir nicht erklären können oder ist sie etwas Realistisches, das wir gleichwohl trotzdem nicht so recht erklären können?  
Aber so schnell wollte er nicht aufgeben.
„Du hast insofern Recht, als Dinge auch eine Art Seele bekommen können im Sinne von Bedeutung und vermutlich können sie das nur mit Hilfe des Menschen. Aber Dinge werden immer Dinge bleiben, mit oder ohne Seele. Was soviel heißt, dass sie austauschbar, also reproduzierbar sind. Und das sind nun mal besonders die industriell erzeugten Dinge. Im Übrigen, wie sollte unsere Welt funktionieren  ohne die technisch erzeugten Produkte?“
„Du hast noch immer nicht begriffen, dass es nicht um das jeweilige Ding an sich geht, sondern um die Art und Weise, wie es erzeugt wird und welchen Anteil der Mensch daran hat. Denn der Mensch  ist sozusagen im Auftrag Gottes ein Schöpfer auf Erden und verleiht damit den Dingen eine Seele, meinetwegen kannst du auch Sinn sagen.“

Sinn, das war das Stichwort, das ihn aus seinen Erinnerungen erweckte. Denn ganz unerwartet überfiel ihn die Frage nach dem Sinn seines Vorhabens  
Doch mitten in diesen Gedanken bemerkte er ein Auto, das in hohem Tempo vom oberen Parkplatz, wo er seinen Wagen abgestellt hatte, den Schotterweg herunter auf ihn zu gerast kam. Er konnte gerade noch seine halb gerauchte Zigarette wegwerfen und hinter die Reste  des alten Söllers der ehemaligen Burgmauer springen, bevor der Wagen auf diesen auffuhr. Dann folgte eine fast beängstigende Stille, die plötzlich unterbrochen wurde durch ein heftiges Zischen, das aus dem Motorraum kam. Unter dem Wagen machte sich eine dunkle Pfütze bemerkbar, deren Ausläufer sich  flink wie eine Schlange auf eine kleine Rauchfahne  im verdorrten Gras zubewegte. Meine Zigarette, dachte er. Dann wurde er von der Helligkeit und der Hitze einer Feuerwand überfallen.  
Und mitten in dieser Wand lag die Fahrerin. Die Tür war aufgesprungen, ihr Kopf lag auf dem Steuerrad, bewegungslos
Er wusste nicht, was ihn trieb oder wie er es überhaupt schaffte. Jedenfalls sprang er in diese Wand, packte die Frau am Arm und zog sie aus dem Wagen heraus. Sekunden später lag er  mit ihr schwer atmend unweit der Flammen auf dem Gras. Aber auch dort konnte er  nicht bleiben, denn einzelne kleine Glutnester fraßen sich langsam aber stetig auf sie zu. Das war alles so schnell gegangen, dass das Feuer kaum Zeit gefunden hatte, sie ernsthaft zu verletzen
Die Frau lag immer noch leblos neben ihm. Er hob sie auf und legte sie etwas höher auf den  Resten einer ehemaligen Terrasse  ab. Sie öffnete die Augen und sah ihn an.  
„Bin ich tot?“, fragte sie in einer Mischung von Neugier, Hoffnung und Bestürzung.  
„Offensichtlich nicht“, konnte er sich  nicht verbeißen zu sagen. „Aber anscheinend wollten Sie in den Tod fahren.“
„Ach, hätten Sie mich doch sterben lassen, dann wäre alles vorbei.“
„So leicht stirbt man nicht. Da ist meist das Leben dagegen.“
Was redest da für einen Mist, fuhr es ihm durch den Kopf. Vor wenigen Minuten wolltest du selber sterben, doch das Leben hat dich daran gehindert. Und jetzt strotzt du vor Lebensweisheit. Angeber, Dummkopf, Lügner….?
Vom Parkplatz kamen Menschen auf sie zugerannt. Jemand versuchte mit einem Feuerlöscher das Feuer unter Kontrolle  bringen. Aber er konnte nur einzelne Flammennester im Umkreis löschen. Ein Mann trat hinzu.  
„Was ist geschehen?“
Er blickte die Frau an.  In ihren Augen sah er Hilflosigkeit, Trauer aber auch Verlassenheit .
„Die Fahrerin hat die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren und ist mit voller Wucht gegen den alten Söller gerast. Vermutlich ist sie von der Bremse auf das Gas gerutscht.  Ich konnte sie gerade noch rechtzeitig aus dem Wagen ziehen. Aber sie steht natürlich unter Schock. Doch scheinbar hat sie keine größeren Verletzungen. Ich werde sie trotzdem zur Untersuchung ins Krankenhaus bringen. Hier ist meine Karte. Es werden sicher noch Rückfragen kommen.“
Er war selber überrascht, wie souverän er da gerade agierte. Der Mann nickte. Ein anderer kam hinzu.
„Da haben Sie aber verdammtes Glück gehabt. Kann ich noch etwas für Sie tun?“  Die Frau schüttelte den Kopf. Aber er  hatte  sie  schon vorsichtig auf die Beine gestellt. Zwar musste er sie etwas stützen aber sie ließ alles wortlos mit sich geschehen. Indem er sich noch bei den Helfern  bedankte, machten sie sich auf den Weg zu seinem Auto.
Wie in Trance ging die Frau neben ihm mit kleinen, vorsichtigen Schritten. Als sie im Auto saßen, sah sie ihn von der Seite an.  
„Warum haben Sie das gemacht?“  
„Was habe ich gemacht?“
„Sie wissen schon was.  Sie haben aus dem Vorfall einen Unfall gemacht.“
„Wäre  Ihnen die Wahrheit lieber gewesen?“
Sie schwieg. Und erst als sie schon eine ganze Weile gefahren waren, meinte sie.
„Die Wahrheit. Was ist die Wahrheit? Ja, vermutlich wollte ich mich umbringen. Wir werden alle sterben. Das ist die Wahrheit.“
Auf der Zunge lag ihm die Frage, ob die Wahrheit auch Hintergründe habe. Aber laut sagte er.
„Vielleicht ist es zunächst einmal hilfreich, wenn Sie mir Ihren Namen verraten. Der meine ist übrigens Dirk, Dirk Danner.“
Er lächelte und sah sie kurz an. Sie hatte den Spiegel heruntergeklappt und versuchte die Rußflecken aus dem Gesicht zu wischen. Er reichte ihr ein Taschentuch. Ihr kurzes, rotblondes Haar roch versengt. Aber vielleicht kam der Brandgeruch auch von seinem Bart, der offensichtlich auch etwas in Mitleidenschaft geraten war.  Über allem lag ein  Brandgeruch, der ihn daran erinnerte, dass sie beide gerade einem Feuermeer entronnen waren und außer einigen angesengten  Kleidungsstücken und ein paar Brandblasen fast unversehrt davon gekommen waren.  
„Ist der Name wirklich wichtig? Nennen Sie mich Gisela.“
„Und da gibt es sicher auch einen Nachnamen. Also nicht dass ich besonders neugierig wäre. Aber im Krankenhaus werden Sie sowieso nach ihren Daten gefragt werden.“
„Ja und dann fängt alles wieder von vorne an. Warum haben Sie mich nicht sterben lassen?“
Darauf hatte er in der Tat keine Antwort. Die Situation war im Grunde absurd. Ein Selbstmörder wird von seinem Vorhaben abgehalten durch eine Selbstmörderin, die er gegen ihren Willen vor dem Tod bewahrt. Geht´s noch?
Und doch keimte in ihm immer mehr die Erkenntnis auf, dass alles gar nicht so absurd war. Absurd war eher die Idee, sich umzubringen.  
Alles ist vorherbestimmt, hatte ihm seine esoterische Busenfreundin Jutta seinerzeit immer wieder versucht zu erklären. Er hielt das für Unsinn genauso wie ihre Vermutung, dass wir in unserem Leben  Aufgaben hätten. Würden wir diese nicht erfüllen, müssten wir diese in einer Reinkarnation sozusagen nachholen.  
Jetzt musste er an Jutta und die Aufgaben des Lebens denken. Und er fühlte ein fast unbändiges Verlangen danach, den Reset-Knopf zu drücken. Alles wieder auf Anfang.  
Angenommen, er könnte sein Leben heute noch so ändern, dass er seine vermutlichen Fehler in diesem Leben wieder gutmachen könnte. Die Frage schien verlockend. Denn Fehler in seinem Leben konnte er mehr als genug aufzählen. Aber was wäre damit gewonnen? Vergangenheit kann man nicht eliminieren wie eine Computerdatei. Schlimmer noch. Denn die Fehler hatten ja jeweils Folgen, die er noch weniger auslöschen konnte.  

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