Raupes Mondfahrt - Ver-dichtungen

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Raupes Mondfahrt

Literarische Texte > Kindergeschichten
Raupes Mondfahrt



Die Geschichte einer fantastischen Reise
von
Wolf Döhner
mit Illustrationen von Hedwig Maier






















© Wolf Döhner, www.ver-dichtungen.de,  wdoehner@web.de
 
























Den ganzen Sommer über war die Wiese voller Leben. Da summte, zirpte  und zwitscherte es, dass es eine Freude war. Und die Bienen, die Grillen und die Vögel sowie all die anderen Tiere tummelten sich in ihrer Lebensfreude.

Hoch über all dem saß eine große Raupe auf einem Blatt der Ulme, die sich am Rande der Wiese nahe einer alten Scheune befand.
Sie ließ sich nicht stören von all dem Getümmel da unten, sondern fraß langsam aber stetig an ihrem Blatt. Und wenn sie davon genug hatte, so ließ sie sich an einem langen Faden, der aus ihrem Hinterleib heraus kam auf ein anderes Blatt herunter gleiten und fraß weiter.

Sie war wunderschön ganz in schwarz mit roten Punkten auf beiden Seiten ausgestattet. Dazu standen auf ihrem geringelten Leib lauter weiße Haarbüschel senkrecht in die Höhe. Am Hinterleib aber krümmte sich ein pink farbiger Stachel.
Die Tiere, die ihr begegneten hielten jedoch auf guten Abstand. Denn irgendwie sah die Raupe auch gefährlich aus. Und man wusste ja nicht, wozu sie fähig war. Sie war natürlich völlig harmlos. Aber das wusste eben nur sie und so hatte sie sich mit der Zeit daran gewöhnt, dass die meisten Tiere sie mieden.

Gelegentlich jedoch kam ein Tier vorbei.
Da war das stets neugierige Rotkehlchen. Es setzte sich auf einen Ast oberhalb der Raupe, wippte mit dem Schwanz und sagte von oben herab

"Was bist du den für ein langsames Wesen?"
"Ich bin eine rot gepunktete Ulmenspannerin", entgegnete die Raupe, ohne von ihrer Mahlzeit abzulassen.
"Kannst du wenigstens fliegen, wenn du schon so langsam kriechen musst?", fragte das Rotkehlchen weiter und hüpfte ungeduldig auf den nächsten Ast.
"Fliegen, was ist das?" sagte die Raupe und hob etwas ihren Kopf, um die Fragerin zu betrachten.
"Dumme Frage", zwitscherte der Vogel und flog davon.
Die Raupe sah ihr bewundernd nach. Dann wandte sie sich wieder ihrem Geschäft zu.

"Hoppla", hörte sie nach einer Weile des Fressens. "Wen haben wir denn da?" Am Ende des Blattes war ein Marienkäfer aufgetaucht und beäugte misstrauisch die viel größere Raupe.
"Wo hast du deine Flügel versteckt?"
"Welche Flügel? Ich weiß nicht was das ist."
"Na so etwas wie das hier", meinte der Marienkäfer, spannte seine Flügel auf und flog zum nächsten Blatt.
"Wie kann man denn ohne Flügel leben?"
Und ohne die Antwort abzuwarten, flog er weiter in den hellen Sonnentag hinein.

"Fliegen", dachte die Raupe" ,das wäre nicht schlecht. Dann könnte ich meine Ulme verlassen und zu anderen Bäumen fliegen."
Doch nach einer kurzen Pause der Überlegung senkte sie ihren Kopf und fraß weiter.

"Summ", machte es da plötzlich und vor ihrer
Nase schaukelte eine große Hummel
gemütlich in der Luft hin und her.


"Gibt es hier bei dir Blüten?" brummte sie.
"Blüten?" fragte die Raupe. "Was ist das?"
"Oh", entgegnete die Hummel. "Du weißt nicht was Blüten sind? Was frisst du denn?"
"Ich fresse die Blätter des Baumes", meinte die Raupe ...."und davon gibt es mehr als genug," ….wollte sie sagen. Doch die Hummel unterbrach sie. "Blätter! Wie langweilig! Komm spann deine Flügel aus und folge mir. Ich werde dir die leckersten Blüten der ganzen Gegend zeigen!"
"Ich habe keine Flügel und fliegen kann ich auch nicht", entgegnete die Raupe verlegen.

"Ach so", die Hummel schwankte unschlüssig in der Luft hin und her und überlegte. Aber da ihr nichts einfiel, flog sie eine Schleife um die erstaunte Raupe. " Ja dann kann ich dir auch nicht helfen" Und weg war sie.
Die rot gepunktete Ulmenspannerin schaute ihr nach." Blüten müssen etwas wunderbares sein…." dachte sie. Dann kroch sie langsam weiter. "Aber meine Blätter schmecken auch gut."

So verging der Sommer. Die Tage wurden kürzer, der Herbst zog übers Land und malte alles in den schönsten Farben an. Die Tiere aber fingen an sich für den Winter vor zu bereiten. Auch die Raupe hatte ein Gefühl, als ob sie sich nun noch einmal so richtig satt fressen müsste.

Eines Abends ließ die Sonne ihre letzten warmen Strahlen über das Land gleiten, als wolle sie es noch einmal verwöhnen vor einer langen kalten Zeit. Die Strahlen sangen eine wundervolle Melodie und berührten jedes Tier, jede Pflanze und wer berührt wurde, hielt inne, als lausche er einer Botschaft.
Die Raupe aber hörte ganz deutlich eine Stimme in sich. Die sagte: "Komm worauf wartest du noch?! Auf dich warten wunderbare Dinge.“


Die Raupe hob den Kopf und sei es nun, dass der letzte Sonnenstrahl sie blendete oder sei es aus einer plötzlichen Laune heraus, jedenfalls rollte sie sich zusammen. Dann kullerte sie das Blatt, auf dem sie sich gerade aufgehalten hatte pling, plang, plung hinunter, und weiter auf so manches andere Blatt. Schließlich fiel sie auf das Dach der alten Scheune nahe der Ulme. Von dort rollte sie das Dach hinab und verschwand dann in einer der vielen Dachritzen. Plumps machte es  und sie war auf einem Sims unterhalb des Daches auf dem Dachboden gelandet.
Was für ein herrliches Erlebnis. So schnell war die Raupe ja noch nie vorangekommen.
Und was für wunderbare Dinge sollten noch auf sie warten?

Oh, das war knapp!" hörte sie plötzlich eine etwas ärgerliche Stimme neben sich sagen, noch bevor sie die Augen öffnen konnte, um zu sehen, wo sie gelandet war.
Dann nahm sie noch etwas verschwommen ein grünliches Licht wahr, das heftig flackerte.
"Du hast mich beinahe erschlagen" sagte das Licht.
"Entschuldige" meinte die Raupe noch etwas benommen von dem Sturz, "das war natürlich überhaupt nicht beabsichtigt. und….“

"Schon gut, ist ja nichts weiter passiert“,  unterbrach sie das Licht und hörte dann langsam auf zu flackern. Jetzt konnte die Raupe einen kleinen, unscheinbaren Käfer entdecken, der dicht vor ihr im Heu saß und  mit großen, neugierigen Augen beobachtete, wie die Raupe sich langsam in voller Länge ausstreckte.
"Wer bist du und wo bin ich überhaupt" fragte die Raupe vorsichtig, um das Thema zu wechseln.

"Dumme Frage", antwortete der Käfer und verzog seinen breiten Mund zu einem Grinsen, während sein Hinterteil wieder anfing zu leuchten. "Sieht man das nicht?  Ich bin ein Glühkäfer. Die Menschen sagen zwar Glühwürmchen zu mir. Aber das sagen sie nur, weil sie mich nicht genau betrachten. Tja und du bist auf meinem Balkon gelandet, auf dem ich mich gerade zu meinem abendlichen Ausflug vorbereitet hatte."
"Aber Abends schläft man doch" wagte die Raupe vorsichtig einzuwenden.
"Na du vielleicht. Aber ich schlafe am Tag und nachts fliege ich mit meinem Licht umher. …."

"Gib nicht so furchtbar an mit deinem Licht. Damit kannst du doch sowieso nichts sehen in der Nacht!"


Die Stimme kam von oben und die Raupe und der Käfer duckten sich unwillkürlich, so schneidend und hell war die Stimme. Dann machte es nochmals plumps und neben ihnen saß ein höchst merkwürdiges Wesen, das  keines von beiden je vorher gesehen hatte. Es war mehr als doppelt so groß wie die Raupe, hatte eine Stupsnase und Eselsohren und winzig kleine Knopfaugen.
"Was starrt ihr mich so an! Habt ihr noch  nie eine Fledermaus gesehen?"

"Oh," wisperte das Glühwürmchen, fing vor Aufregung wieder an mit seinem Hinterteil zu leuchten und machte sich hinter der Raupe noch kleiner, als es sowieso schon war.
Die Fledermaus lachte ein helles hohes Lachen und meinte dann. „Keine Angst ich fresse weder Glühkäfer noch solche Rasierpinsel wie deinen Gefährten".

Die Raupe brauchte eine Weile, bis sie verstanden hatte, was die Fledermaus gesagt hatte. Nun wusste sie zwar nicht, was ein Rasierpinsel war, aber sie begriff doch, dass ein Rasierpinsel genannt zu werden kein Kompliment war.
"Entschuldige mal," erwiderte sie deshalb ungewohnt heftig. "Ich bin eine rot gepunktete Ulmenspannerin und eine Stimme in mir hat gesagt, dass ich noch wunderbare Dinge erleben werde und….."

Aber sie konnte nicht weiter reden. Denn plötzlich wurde es lebendig in der Scheune. Taschenlampen ließen ihre Lichtkegel wie helle Zeigefinger durch die Dämmerung gleiten. Dann hörten sie Kinderstimmen. Neugierig beugten sich die Tiere über den Rand des Simses.
Sie sahen, wie drei Kinder eine große Wanne in den Schuppen schleppten.

"Kommt schließt den Wasserschlauch an; das Waschpulver habe ich schon in der Wanne.", hörten sie den größten der Jungen rufen.
"Ich geh und schaue nach dem alten Fassring, der hier irgendwo sein muss", sagte das Mädchen und sprang auch schon los. Der kleinste Junge hatte inzwischen das Wasser angestellt und schon schäumte es in der Wanne auf zu einem wundervollen Schaumgebirge. Die beiden Jungen fingen mit Strohhalmen die Seifenblasen und bliesen sie auf, bis sie platzten oder von dem leichten Abendwind, der aufgekommen war durch die Scheune getragen wurden.
Jetzt kam das Mädchen mit einem großen Drahtring angerannt.

"Werft eure Strohhalme weg, jetzt gibt es richtige Seifenblasen." Und damit tauchte sie den Reifen in die Wanne zog ihn wieder heraus und drehte sich damit schnell im Kreis.
Und nun schwebten mit einem Mal ballgroße Seifenblasen durch die Luft, kugelten sich, stießen aneinander und platzen dann in tausend kleinere Blasen, bis auch diese zerfielen.



Die Kinder jauchzten und sorgten ständig für Nachschub an diesen flüchtigen Bällen. Wenn die Seifenblasen durch eines der Lichtkegel schwebten, schillerten sie in den buntesten Farben, um dann irgendwann in die aufziehende Nacht zu entschwinden.
"Seht mal", sagte der Junge, "diese Riesenblase!"  Und wirklich hatte er gerade ganz vorsichtig den Reifen durch die Luft gedreht bis sich eine Blase löste, die wohl das Ausmaß eines Kürbisses hatte. Mit offenem Mund schauten die Kinder zu, wie sich der Kürbis dehnte und in der Luft wackelte wie Wackelpudding, dann schwebte er hoch unter das Dach, wo die Tiere dem Treiben atemlos zugesehen hatten. Die Blase kam direkt auf sie zu. Und während die Fledermaus und der Glühkäfer sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, machte es plötzlich schwupp
und die Raupe befand sich gefangen in der Riesenkugel.
Gemächlich rollte diese auf dem Sims weiter, als mit einem Mal ein heftiger Windstoß durch die Scheune fegte und die Seifenblase mitsamt der Raupe hinaus in den Abendhimmel trug.
Das alles war so unvermittelt und schnell geschehen, dass die Raupe gar keine Zeit gehabt hatte, so etwas wie Angst zu empfinden. Und nun, da sie über das Scheunendach schwebte, war sie so angetan von der Aussicht, dass sie ebenfalls nicht an Furcht dachte.

ENDE DER LESEPROBE
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